Reformbedarf – BEIGEWUM

Stichwort: Reformbedarf


Warum die Bildungskarenz reformiert werden sollte!

Oktober. 10th 2011 — 12:41

Seit dem Kri­sen­jahr 2009 erfreut sich die Bil­dungs­ka­renz in Öster­reich stei­gen­der Beliebt­heit – und der Trend hält auch 2011 wei­ter an. Wer kennt nicht jeman­den in sei­nem Bekann­ten­kreis, der freu­dig bekun­det: Ich bin für ein Jahr in Bil­dungs­ka­renz! Ja, und was wäre auch aus­zu­set­zen dar­an, dass Arbeit­neh­me­rIn­nen den Her­aus­for­de­run­gen einer sich stän­dig wan­deln­den Arbeits­welt durch Wei­ter­bil­dung begeg­nen? A prio­ri natür­lich wenig, erst ein genaue­rer Blick auf die Rea­li­tä­ten lässt Zwei­fel auf­kom­men und an Refor­men denken.
1998 wur­de die Bil­dungs­ka­renz im Zuge einer Pen­si­ons­dis­kus­si­on ein­ge­führt. Ur-sprüng­li­ches Ziel war die intel­li­gen­te Ent­las­tung des Arbeits­an­ge­bo­tes. Wenn sich eine Arbeit­neh­me­rIn mit einem Arbeit­ge­ber einigt, dann besteht im Prin­zip ein Rechts­an­spruch auf Wei­ter­bil­dungs­geld in Höhe des Arbeits­lo­sen­gel­des, wenn eine Aus­bil­dung, ein Kurs, ein Semi­nar im Aus­maß von min­des­tens 20 Wochen­stun­den (16 Stun­den bei Betreu­ungs­pflich­ten) besucht wird. Bis 2008 blieb der „take-up“ relea­tiv gering, in den meis­ten Jah­ren gin­gen weni­ger als 2000 Per­so­nen in Bil­dungs­ka­renz. Mit der Kri­se änder­ten sich Mus­ter und Aus­maß der Inan­spruch­nah­me: 2009 und 2010 gin­gen jeweils ca. 11.000 in Bil­dungs­ka­renz, v. a. Män­ner aus dem von der Kri­se beson­ders betrof­fe­nen Bereich „Her­stel­lung von Waren“ in und Stmk. Sprung­haft stie­gen aller­dings auch die Aus­ga­ben (inkl. Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen) des AMS von ca. €10 Mio. (2007) auf €108 (2010) an.
Einer aktu­el­len Stu­die des IHS (Lass­nigg et. al. 2011, Eva­lu­ie­rung der Bil­dungs­ka­renz 2000–2009, sie­he: http://www.bmask.gv.at/site/Soziales/Statistische_Daten_und_ Studien/​Studien/​Arbeitsmarkt_​Studien_​) zufol­ge sind erst­mals wei­te­re Details zur Teil­nah­me und den Wir­kun­gen der Bil­dungs­ka­renz bekannt: Die Bezie­he­rIn­nen von Wei­ter­bil­dungs­geld sind jün­ger und höher aus­ge­bil­det; sie kom­men häu­fig aus den Wirt­schafts­be­rei­chen „Gesundheit/​Soziales“ oder aus tech­ni­schen Beru­fen; wenn den Ergeb­nis­sen der Befra­gung ver­traut wer­den darf(?!), dann besu­chen sie hoch­wer­ti­ge und lan­ge dau­ern­de Kur­sen (durch­schnitt­lich 9,5 Mona­te) – sie holen etwa die Matu­ra nach, machen den Werk­meis­ter, schlie­ßen ihr Stu­di­um ab, bele­gen eine berufs­ori­en­tier­ten Kurs, etc.; ins­ge­samt sind ca. 90% der Teil­neh­me­rIn­nen „mit den Aus­wir­kun­gen der Bil­dungs­ka­renz sehr zufrieden“.
Wenn aber ohne­hin alle zufrie­den sind, war­um soll­te dann die Bil­dungs­ka­renz refor­miert werden?
• Weil die Bil­dungs­ka­renz kei­nen Bei­trag zur Kor­rek­tur der Schief­la­ge in der beruf­li­chen Wei­ter­bil­dung leis­tet, ja sie zemen­tiert viel­mehr den „Mat­thä­us-Effekt“ noch wei­ter ein, weil sie von Per­so­nen mit maxi­mal Pflicht­schul­ab­schluss weit unter­durch­schnitt­lich in Anspruch genom­men wird, die Umver­tei­lung also nach oben läuft. Oder anders gewen­det: Die durch­schnitt­li­che Leis­tungs­hö­he liegt beim Wei­ter­bil­dungs­geld mit ca. €863 monat­lich um etwa 15% über dem Arbeits­lo­sen­geld, ca. 10% der Bezie­he­rIn­nen von Wei­ter­bil­dungs­geld erhal­ten zwi­schen €1400–1500 im Monat. Über­spitzt for­mu­liert könn­te man auch sagen, dass die Haupt­schü­ler den Matu­ran­ten ihren Uni-Abschluss bezahlen.
• Weil auf Grund eines ver­meint­lich hohen Auf­wan­des und ver­si­che­rungs­recht­li­cher Ein­wän­de weder der Kurs­be­such, noch der Kurs­er­folg vom AMS über­prüft wer­den – ein Umstand, der dem Miss­brauch natür­lich Tür und Tor öff­net. Zu Beginn der Karenz muss ledig­lich eine Beschei­ni­gung über das Aus­maß der Wei­ter­bil­dungs­teil­nah­me von 20 Wochen­stun­den (wovon aller­dings 12 Stun­den als „Lern- und Stu­di­en­zei­ten“ ange­rech­net wer­den) vor­ge­legt wer­den, beim Stu­di­um genügt über­haupt nur die Inskriptionsbestätigung!
• Weil die IHS-Unter­su­chung hin­sicht­lich der kau­sa­len Wir­kun­gen der Bil­dungs­ka­renz in Bezug auf Beschäf­ti­gung, Arbeits­lo­sig­keit und Ein­kom­men auch nach 7 Jah­ren Nach­be­ob­ach­tung kei­ne signi­fi­kant posi­ti­ven Effek­te fin­den konn­te (ein­zi­ge Aus­nah­me: Per­so­nen mit Lehr­ab­schuss, die die Meis­ter­prü­fung able­gen). Das hängt einer­seits zusam­men mit den Teil­neh­me­rIn­nen an Bil­dungs­ka­renz, die im über­wie­gen­den Aus­maß sehr stark in den Arbeits­markt inte­griert sind (sta­bi­le Beschäf­ti­gungs­kar­rie­ren) aber ande­rer­seits mög­li­cher­wei­se auch mit feh­len­dem Ergeb­nis­druck und Missbrauch.
• Weil die Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung kein Ersatz für ein man­geln­des Hoch­schul-Sti­pen­di­um­sys­tem sein kann: 2008 haben 43,9 aller Zugän­ge in Bil­dungs­ka­renz ein Uni­ver­si­täts­stu­di­um begon­nen, fort­ge­führt oder abgeschlossen.
• Und schließ­lich: weil ein € 100 Mio. Pro­gramm kein Pap­pen­stiel mehr ist, die Fra­ge nach Effek­ti­vi­tät und Effi­zi­enz der Ver­wen­dung öffent­li­cher Mit­tel jeden­falls gestellt wer­den muss. Wird ja wohl noch erlaubt sein?

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