Niemand kann oder will die Botschaft der Rating-Agentur Standard & Poors verstehen. Dabei sind die Analysen der Rater wesentlich vernünftiger als das was an Unsinn durch die österreichischen Medien geistert.
Das international renommierte Fachblatt für Wirtschaftfragen „Heute“ hat mittels zehn Fragen Österreichs Kreditwürdigkeit erläutert. Frage 7: „Wie kann Österreich den AAA-Status wiederbekommen“? beantwortet „Heute“ wie folgt: „Durch rasche Sparmaßnahmen. Gerade die hohen Schulden haben zur Herabstufung geführt (…)“ Das ist nur die simpelste Wiedergabe dessen, was fast alle MeinungsmacherInnen dieser Tage mit sorgenvoller Miene verkünden: Wir hätten die AAA-Bonität wegen mangelnder Sparanstrengungen verloren. Niemand hat es überprüft aber alle wissen: Nur harte Reformen und eisernes Sparen können uns aus der Schuldenkrise führen. Doch lassen wir Standard & Poors (S&P) einmal selbst sprechen und schauen wir, was in ihrem aktuellen Report zu lesen ist:
„Wir sind auch der Auffassung, dass die Gipfelvereinbarung (EU-Gipfel vom 9.12.) von einer lediglich einseitigen Interpretation der Ursachen der Staatsschuldenkrise geprägt ist, nämlich dass die derzeitigen finanziellen Unsicherheiten primär von mangelnder budgetärer Disziplin in den Peripheriestaaten der Eurozone herrühren. Nach unserer Meinung sind die finanziellen Probleme in der Eurozone jedoch gleichermaßen ein Ergebnis der steigenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und auseinanderlaufender Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Kernländern der Eurozone und den sogenannten Peripheriestaaten. Daher glauben wir, dass ein Reformprozess, der einseitig auf fiskalischen Sparmaßnahmen beruht, unwirksam sein könnte, indem die Inlandsnachfrage in gleichem Maße sinkt wie die Sorge der Verbraucher um ihre Arbeitsplätze und ihre verfügbaren Einkommen steigt und damit die nationalen Steuereinnahmen erodieren“.
Das hört sich doch ganz anders an als „Sparen, Sparen, Sparen“. Kann es sein, dass „den Gürtel enger schnallen“ und „sich von liebgewordenen Gewohnheiten trennen“ überhaupt nicht den Empfehlung von Standard & Poors entspricht? S&P Chefanalyst Moritz Krämer hatte im Ö1-Mittagsjournal selbst die Gelegenheit Stellung zu nehmen. Weil für Ö1-Journalist Volker Obermayer die Antworten scheinbar ohnedies schon feststanden, gab er sie sich in der Frage auch gleich selbst: „Vermissen Sie den eisernen politischen Willen, die Konsequenzen aus der Lage zu ziehen. Also nachhaltig die Budgets zu sanieren, Strukturreformen durchzuziehen?“ Zur Überraschung aufmerksamer HörerInnen kommt von Krämer keine Bestätigung: „Viel wichtiger für uns – um wieder den Fokus auf die europäische Ebene zurückzuführen – ist, dass es nach unserem Dafürhalten die Krise gar nicht vor allem eine Budgetkrise ist oder eine öffentliche Schuldenkrise, sondern eine Krise die dadurch ausgelöst wurde, dass sich die wirtschaftlichen Entwicklungen und die Wettbewerbsfähigkeiten in der Eurozone in den letzten zehn Jahren diametral in Richtung auseinander bewegt haben. Durch Schuldenbremsen europaweit lässt sich dieses Problem nicht eindämmen.“
keynesianische Krisendiagnose
Unglaublich aber wahr: Die Rating-Agentur Standard & Poors hat im Kern die gleiche Krisendiagnose wie zB etwa das keynesianisch orientierte Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf (IMK). Der Befund ist kurz gesagt der folgende: Nicht nur die öffentlichen, sondern auch die privaten Schulden bedürfen einer politischen Berücksichtigung. Wenn die Guthaben des privaten Sektors die Schulden des Sektors Staat in einer Volkswirtschaft nicht übertreffen, oder die Privaten in Summe unterm Strich sogar selbst verschuldet sind, ist das ein direktes Resultat der negativen Außenhandelsbilanz der entsprechenden Volkwirtschaft. Diese Leistungsbilanzungleichgewichte entstehen auf Grund der unterschiedlichen Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit der Staaten im Euroraum, was wiederum damit zu tun hat, dass die südeuropäischen Staaten wegen der gemeinsamen Währung mangels Abwertungsventil keine Möglichkeit haben, die Lohnzurückhaltung im Norden – allen voran in Deutschland – zu kompensieren.
Diese Sichtweise auf die Ursachen der aktuellen Krise ist wesentlich differenzierter als der ausschließliche Fokus auf die öffentlichen Haushalte. Standard & Poors hat offensichtlich Leute, die clever und weitsichtig genug sind, das zu erkennen. Wieso? Ganz einfach, weil diese AktuerInnen Interesse daran haben, dass ihre Veranlagungen nicht wertlos werden und sie pragmatisch jede Politik unterstützen, die in der Lage ist das Vertrauen wiederherzustellen und den Finanzsektor nicht beim Kohle scheffeln stört.
Gleichzeitig müssen wir aber leider feststellen, dass die in Österreich veröffentlichte Meinung die Analysen von S&P ignoriert bzw. vollständig aus einem vorgefertigten und unverrückbaren Korsett heraus uminterpretiert. Beispielhaft hierfür etwa Bernhard Felderer (IHS) in „Im Zentrum“: „(…) Ich glaube entscheidend ist dass wir jetzt alle erkennen, es gibt keinen anderen Weg als Schuldenbremse als Verfassungsgesetz, als weitere Konsolidierungen.“
Natürlich weiß auch die gastgebende Moderatorin und neuerdings Finanzexpertin Ingrid Thurnher, dass der Staatshaushalt der Kern des Problems ist, wie sie eine ganze „Im Zentrum“-Sendung unmissverständlich klar machte.
Das weiß die amtierende Finanzministerin Maria Fekter () zu bestätigen: „Das was wir haben ist nicht ein wirtschaftliches Problem, ist nicht ein Problem der Realwirtschaft. (…) Das was wir haben ist ein Problem der Staaten und da der Schulden und der Defizite und Haushalte.“
Der angeblich sozialdemokratische österreichische Notenbankchef Ewald Nowotny bezeichnet die PragmatikerInnen von Standard & Poors gar als politisch motiviert. Das ist insofern besonders ulkig, weil es die europäische Wirtschaftspolitik ist, die außer den öffentlichen Haushalten kein Thema mehr kennt. Das ist Ideologie pur, eine ausgeglichene Politik würde ja alle Ursachen der aktuellen Krise – Bankenprobleme, Leistungsbilanzungleichgewichte, Verteilungsprobleme, öffentliche Haushalte – unter die Lupe nehmen. Ideologie zeichnet sich genau durch eine absichtliche Einschränkung der Wahrnehmung aus. Insofern ist S&P weiter als die EntscheidungsträgerInnen in der Europäische Union. Noch dümmer argumentieren nur Abgeordnete der CDU im Online-Standard „CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs spricht von „Attacken auf den Euro“ aus den USA. Der CDU-Europa-Politiker Elmar Brok sagt in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, die Abstufung käme in der Konsequenz „fast einem Währungskrieg“ gleich.“ Es ist völlig absurd zu glauben, irgendwer in den USA hätte Interesse an einem Kollaps des Euro. Die Portfolios der AkteurInnen am Finanzmarkt sind international diversifiziert, da besteht mit Sicherheit kein Interesse daran, dass eine der großen Währungen in denen man investiert ist krachen geht.
Sind Rating-Agenturen das Zentrum des Bösen?
Bei aller Kritik an den Ratingagenturen muss man eines sagen: Ratingagenturen sind einfach Teil eines Systems, dessen Entwicklung durch politische Entscheidungen zugelassen und sogar gefördert wurde. Ratingagentur sind nicht unmoralisch, sondern amoralisch, weil sie innerhalb einer Systemlogik ihre Aufgabe erfüllen. S&P will einfach die Krise überleben und wieder ordentlich Geld verdienen. Deshalb sind sie im Zweifelsfall offensichtlich pragmatisch.
Das Zentrum des Bösen sind offenbar weder die Rating-Agenturen, noch das Finanzkapital, sondern es ist die Ideologie. Und zwar die Spar- und Austeritätsideologie, die in Europa von 90% aller Opinion Leader nachgebetet wird. Keine Industrie, weder binnen- noch exportorientierte, ja nicht einmal die aufgeblähte und überflüssige Finanzindustrie haben irgendetwas von dieser Sparpolitik.
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