Spanien – BEIGEWUM

Stichwort: Spanien


Eine andere Wirtschaftspolitik – für Spanien und Europa

Dezember. 19th 2015 — 12:01

Am 20. Dezem­ber fin­den in Spa­ni­en Par­la­ments­wah­len statt. Eines der Haupt­the­men ist die Wirt­schaft, ins­be­son­de­re die Fra­ge, wie sich die nach wie vor über 20 Pro­zent lie­gen­de Arbeits­lo­sen­ra­te redu­zie­ren lässt, gut bezahl­te hoch­wer­ti­ge Arbeits­plät­ze geschaf­fen wer­den kön­nen und wie der Sozi­al­staat nach Jah­ren der Aus­teri­täts­po­li­tik wie­der gestärkt wer­den kann. Auch wenn die letz­ten Umfra­gen für ein lin­kes Pro­jekt nicht sehr viel­ver­spre­chend sind, so kann mit dem Ein­zug von PODEMOS ins Par­la­ment eine alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik for­ciert werden.

Ein neu­es Ent­wick­lungs­mo­dell für Spa­ni­en ist uner­läss­lich. Im Mit­tel­punkt soll­ten die Schaf­fung qua­li­ta­ti­ver Arbeits­plät­ze, Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­run­gen und die Sozi­al­staats­ent­wick­lung sein. Das ist – wie bereits vor dem Plat­zen der Immo­bi­li­en­bla­se – kei­ne öko­no­misch-tech­ni­sche Fra­ge, son­dern vor allem eine poli­ti­sche. Zen­tral ist dabei die Demo­kra­ti­sie­rung der Wirt­schaft, die wie­der eine ver­stärk­te Reinves­ti­ti­on der Gewin­ne erlau­ben würde.

Ein sol­ches Pro­jekt muss eine gesamt­heit­li­che Ant­wort auf die leid­vol­le sozia­le Rea­li­tät – ins­be­son­de­re in Form von Arbeits­lo­sig­keit, Ungleich­heit und wach­sen­der Armut – dar­stel­len. Das Wahl­er­geb­nis wird ent­schei­dend dafür sein, ob sich ein alter­na­ti­ves Ent­wick­lungs­mo­dell durch­set­zen kann, das auf den fol­gen­den sechs Eck­pfei­lern beruht.

6 Eckpfeiler eines neuen Produktivmodells

  1. Ein pro­gres­si­ves Steu­er­sys­tem, des­sen Gesamt­auf­kom­men zumin­dest den euro­päi­schen Durch­schnitt erreicht. Mit einer Abga­ben­quo­te von nur 38,6 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes blieb Spa­ni­en 2014 weit hin­ter der Euro­zo­ne mit einer Quo­te 46,8 Pro­zent zurück, von den Län­dern mit einem bes­ser ent­wi­ckel­ten Sozi­al­staat wie Öster­reich (50 Pro­zent) ganz zu schwei­gen. Dafür sind die Mit­tel der Finanz­be­hör­den für den Kampf gegen Steu­er­hin­ter­zie­hung eben­so zu erhö­hen wie die effek­ti­ven Steu­er­sät­ze auf Ver­mö­gen und hohe Ein­kom­men von Per­so­nen eben­so wie von Unter­neh­men. Die Alter­na­ti­ve, die die rech­ten Par­tei­en im Wahl­kampf vor­schla­gen, wür­de zu einer wei­te­ren Run­de an Spar­pa­ke­ten und Pri­va­ti­sie­run­gen öffent­li­cher Dienst­leis­tun­gen füh­ren, vor allem im Bil­dungs- und Gesundheitsbereich.
  2. Errich­tung einer öffent­li­chen Bank, die aus­rei­chend groß sein muss, um spür­bar posi­ti­ve Effek­te in der Gesamt­wirt­schaft aus­zu­lö­sen. Ihre Kre­dit­ver­ga­be muss sich vom pri­va­ten Sek­tor unter­schei­den, indem ver­stärkt öffent­li­che Infra­struk­tur bzw. Ein­rich­tun­gen und indus­trie­po­li­tisch rele­van­te lang­fris­ti­ge Unter­neh­mens­pro­jek­te finan­ziert wer­den. Zudem müs­sen die Zugangs­pro­ble­me zu Woh­nungs- und KMU-Kre­di­ten adres­siert wer­den. Was die durch Ret­tungs­ak­tio­nen bereits ver­staat­li­chen Ban­ken angeht – allen vor­an die mit euro­päi­schen Mit­teln gestütz­te Ban­kia –, gilt es zu ver­hin­dern, dass die­se neu­er­lich kom­plett pri­va­ti­siert werden.
  3. Moder­ni­sie­rung der Arbeits­be­zie­hun­gen durch Rück­nah­me der Arbeits­markt­re­for­men bei gleich­zei­ti­ger Stär­kung der Arbeit­neh­me­rIn­nen­rech­te, Aus­wei­tung der betrieb­li­chen Mit­be­stim­mung und ver­bes­ser­te Zusam­men­füh­rung von Pro­duk­ti­vi­täts- und Lohn­ent­wick­lung. Das Arbeits­recht muss wie­der den sozia­len Dia­log und die Kol­lek­tiv­ver­trags­ver­hand­lun­gen unter­stüt­zen anstatt sie zu unter­mi­nie­ren, wie das in den letz­ten Jah­ren der Fall war.
  4. Neue Infra­struk­tur und Tech­no­lo­gien sind durch eine ambi­tio­nier­te För­de­rung von For­schung, Ent­wick­lung und Inno­va­ti­on vor­an­zu­trei­ben. Der Umstieg auf das Trans­port­mit­tel mit der höchs­ten Ener­gie­ef­fi­zi­enz – also die Bahn – ist eben­so zu för­dern wie der Güter­trans­port per Fracht­schiff sowie die Nah­ver­kehrs­mit­tel in den städ­ti­schen Zen­tren. Zudem ist eine moder­ne Pro­duk­ti­ons­in­fra­struk­tur zu unter­stüt­zen, bei­spiels­wei­se durch Glas­fa­ser­ka­bel­net­ze und Wasserentsalzungsanlagen.
    In Bezug auf die Ener­gie­po­li­tik müs­sen erneu­er­ba­re Ener­gien unter­stützt wer­den, sodass die Han­dels­bi­lanz ver­bes­sert und damit die Aus­lands­ver­schul­dung redu­ziert wer­den kann. Es war nicht die Lohn­ent­wick­lung, die das außen­wirt­schaft­li­che Ungleich­ge­wicht der spa­ni­schen Wirt­schaft ver­ur­sach­te, son­dern die hohe Ener­gie­ab­hän­gig­keit. Im Jahr 2013 betru­gen die Öl- und Treib­stoff­im­por­te 5,5 Pro­zent des Bruttoinlandsproduktes.
  5. Eine Wohn­po­li­tik, die ver­stärkt auf Ver­mie­tung abzielt. Dafür ist es not­wen­dig, die SAREB (die spa­ni­sche „bad bank“ für Immo­bi­li­en) in eine öffent­li­che Wohn­bau­ge­sell­schaft umzu­wan­deln, die einen Groß­teil ihres Immo­bi­li­en­be­sit­zes unter sozia­len Gesichts­punk­ten ver­mie­tet. Um Per­so­nen zu unter­stüt­zen, die in Schwie­rig­kei­ten bei der Bedie­nung ihrer Hypo­the­kar­schul­den kom­men, ist eine öffent­li­che Ein­heit ähn­lich der unter Roo­se­velt 1933 geschaf­fe­nen „Home Owners Loan Cor­po­ra­ti­on“ zu grün­den, die die Posi­ti­on der Schuld­ne­rIn­nen stär­ken soll.
  6. Ein Not­fall­plan gegen Armut und sozia­le Aus­gren­zung, bis die Arbeits­lo­sig­keit sowie die Ein­kom­men das Vor­kri­sen­ni­veau wie­der erreicht haben. Ein sol­cher Plan soll­te vor allem ein gesetz­lich garan­tier­tes Min­dest­ein­kom­men, die Besei­ti­gung der Kin­der­ar­mut und einen Abbau der Lang­zeit­ar­beits­lo­sig­keit umfas­sen (bereits 3,5 Mil­lio­nen Men­schen sind min­des­tens ein Jahr arbeitslos).

Änderungen auf europäischer Ebene notwendig

Ob sich das Pro­duk­tiv­mo­dell Spa­ni­ens ändern lässt, hängt wesent­lich von der euro­päi­schen Ebe­ne ab. Die not­wen­di­ge Rück­ge­win­nung demo­kra­ti­scher Spiel­räu­me wird nicht durch Rück­schrit­te im euro­päi­schen Inte­gra­ti­ons­pro­zess mög­lich wer­den, son­dern durch des­sen Ver­tie­fung. Um das Ver­trau­en der Men­schen in die EU zurück­zu­ge­win­nen, braucht es gera­de eine Abkehr vom aktu­el­len wirt­schafts­po­li­ti­schen Kurs. Ins­be­son­de­re braucht es auch auf die­ser Ebe­ne Maß­nah­men zur Schaf­fung von Beschäf­ti­gung, bei­spiels­wei­se durch den EGB-Plan für Inves­ti­tio­nen und die Stär­kung der Sozialstaates.

Die Kri­se hat auch gezeigt, dass der EU die not­wen­di­gen Insti­tu­tio­nen und Werk­zeu­ge feh­len, um die Kri­se zu bekämp­fen. Die­se struk­tu­rel­len Pro­ble­me gilt es zu kor­ri­gie­ren, etwa durch eine koor­di­nier­te Lohn­po­li­tik zur Stär­kung der Ein­kom­men, ein nen­nens­wer­tes EU-Bud­get, eine euro­päi­sche Steu­er­be­hör­de zur Ver­mei­dung von Steu­er­dum­ping zwi­schen den Mit­glieds­staa­ten und einen Sozi­al­pakt. Auch wenn die neu­en Maß­nah­men der Euro­päi­schen Zen­tral­bank den Euro­staa­ten hel­fen, so blei­ben sie unzu­rei­chend, um auf abseh­ba­re Zeit wie­der das Beschäf­ti­gungs- und Wohl­stands­ni­veau vor der Kri­se zu erreichen.

Es braucht einen Plan zur Restruk­tu­rie­rung und/​oder Neu­ver­hand­lung der öffent­li­chen Schul­den auf euro­päi­scher Ebe­ne. Neben einer Ver­rin­ge­rung der aktu­ell zu leis­ten­den Zins­zah­lun­gen muss ein sol­cher Mecha­nis­mus auch eine Ver­teue­rung bei der zukünf­ti­gen Schul­den­auf­nah­me ver­hin­dern, die die wirt­schaft­li­che Erho­lung erst recht gefähr­den wür­de. Eine Ver­ge­mein­schaf­tung der öffent­li­chen Schul­den auf euro­päi­scher Ebe­ne mit­tels Euro­bonds oder durch die EZB im Aus­maß von bis zu 60 Pro­zent des BIP sowie die Kop­pe­lung der Zah­lun­gen an die Wirt­schafts­leis­tung könn­te eine sol­che Teue­rung ver­hin­dern. Auch soll­te eine gol­de­ne Inves­ti­ti­ons­re­gel ein­ge­führt wer­den. Das bedeu­tet, dass der auf öffent­li­che Inves­ti­tio­nen zur För­de­rung der wirt­schaft­li­chen Erho­lung zurück­zu­füh­ren­de Teil der Neu­ver­schul­dung beim EU-Defi­zit­ver­fah­ren her­aus­ge­rech­net wird.

Ange­sichts der weit über­durch­schnitt­li­chen Arbeits­lo­sig­keit und des unter­ent­wi­ckel­ten Wohl­fahrts­staats kommt Spa­ni­en für einen wirt­schafts­po­li­ti­schen Rich­tungs­wech­sel eine beson­ders rele­van­te Rol­le in Euro­pa zu.


Die­ser Text wur­de über­setzt und über­ar­bei­tet von Georg Feigl und ist ange­lehnt an das Schluss­ka­pi­tel des gemein­sam mit Sant­ia­go Díaz de Sar­ral­de her­aus­ge­ge­be­nen Buches „Una pro­pu­es­ta pro­gre­sis­ta para salir de la cri­sis“ („Ein pro­gres­si­ver Vor­schlag aus der Kri­se“, PDF auf Spa­nisch), der auf dem Mosa­ik-Blog erst­ver­öf­fent­licht wurde.

Bru­no Est­ra­da, Öko­nom in Madrid, arbei­tet als wirt­schafts­po­li­ti­scher Bera­ter des Vor­sit­zen­den des größ­ten spa­ni­schen Gewerk­schafts­ver­ban­des (Comi­sio­nes Obre­ras) und enga­giert sich u.a. bei Eco­no­Nues­tra, unse­rer „Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on“ in Spa­ni­en, der Grup­pe Eco­no­mis­tas fren­te a la cri­sis sowie im inter­na­tio­na­len Wirt­schafts­bei­rat von PODEMOS.

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Spanien als Musterbeispiel für scheiternde europäische Austeritätspolitik

April. 2nd 2012 — 14:33

Trotz – bzw. gera­de wegen – meh­re­rer Spar­pa­ke­te und Schul­den­brem­se in der Ver­fas­sung fin­det Spa­ni­en kei­nen Halt. Zusätz­lich zur pro­gnos­ti­zier­ten Schrump­fung der Wirt­schaft um 1,7 % und wei­ter­hin stei­gen­der Arbeits­lo­sig­keit (Stand Febru­ar: 23,6 %; Jugend­ar­beits­lo­sig­keit 50,5 %) kommt nun ein neu­er­li­ches Spar­pa­ket, das die Rezes­si­on merk­lich ver­schär­fen wird. Damit ent­wi­ckelt sich das bud­get­po­li­tisch vor der Kri­se als vor­bild­lich gel­ten­de Spa­ni­en neu­er­lich zu einem Vor­zei­ge-Mit­glied­staat – dies­mal aller­dings für eine schei­tern­de euro­päi­sche Austeritätspolitik.

Meh­re­re Fak­to­ren tra­gen zu die­sem Schei­tern bei. Der wich­tigs­te ist die Wirt­schafts­kri­se, die auf­grund der natio­na­len Immo­bi­li­en­kri­se deut­lich stär­ker aus­fiel und auch nicht so rasch über­wun­den wer­den konn­te wie zB in Deutsch­land und Öster­reich. Die Arbeits­lo­sig­keit hat sich in den letz­ten drei Jah­ren bei­na­he ver­drei­facht, wodurch ein immenser Steu­er­aus­fall sowie ein hoher Anstieg der Sozi­al­kos­ten folg­ten. Gleich­zei­tig kamen die Ban­ken auf­grund der geplatz­ten Immo­bi­li­en­bla­se in beson­de­re Bedräng­nis. Der Staat hat­te damit beson­de­re Belas­tun­gen zu tra­gen und ein Kon­junk­tur­pa­ket zu finan­zie­ren, um den Absturz zu brem­sen. So dreh­te der Maas­tricht-Sal­do von einem Über­schuss von knapp 2 % des BIP 2007 auf ein Rekord­de­fi­zit von 11,2 % des BIP 2009.

Ein wei­te­rer Fak­tor ist die poli­ti­sche Dyna­mik. Der Plan der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Min­der­heits­re­gie­rung Zapa­tero bestand 2009 aus Opti­mis­mus und einem ambi­tio­nier­ten mit­tel­fris­ti­gen Kon­so­li­die­rungs­plan, der die EU-Vor­ga­ben – mind. ‑6 %p. in den kom­men­den vier Jah­ren – über­erfül­len wür­de. Die­ser Plan schei­ter­te im Früh­jahr 2010, als in Fol­ge der Grie­chen­land-Panik die Zin­sen auf spa­ni­sche Staats­an­lei­hen in unge­ahn­te Höhen schos­sen, die nega­ti­ve Wirt­schafts- und Beschäf­ti­gungs­ent­wick­lung wei­ter ging und gleich­zei­tig auf Euro­päi­scher Ebe­ne klar­ge­stellt wur­de, dass es kei­ne wesent­li­che Hil­fe zu erwar­ten gab. Ein har­tes Not-Spar­pro­gramm soll­te sicher­stel­len, dass die euro­päi­sche Kon­so­li­die­rungs­vor­ga­be von durch­schnitt­lich 1,5 %p. des BIP pro Jahr bereits 2010 und 2011 erfüllt wer­den – trotz pro­gnos­ti­zier­ter Rezes­si­on 2010.

Gefangen in der Spirale nach unten

2010 wur­den die Zie­le auch weit­ge­hend erfüllt, aller­dings nicht 2011: Statt den ange­streb­ten 6 % erreich­te das Defi­zit 8,5 % des BIP. Schuld war aller­dings nicht die alte, Ende Novem­ber abge­wähl­te Zen­tral­re­gie­rung. Die hat­te ihr Spar­pro­gramm trotz deut­lich schlech­te­rer Beschäf­ti­gungs- und damit Bud­get­ent­wick­lung durch­ge­zo­gen. Mit einem Defi­zit von 5,1 statt 4,8 % des BIP ver­fehl­te sie ihr Ziel nur knapp (bzw. 5,2 statt 4,4 %p. inklu­si­ve Sozi­al­ver­si­che­rung). Der über­wie­gen­de Teil der Defi­zit-Ver­feh­lung ging auf die Kon­ten der fast aus­schließ­lich kon­ser­va­tiv regier­ten Bun­des­län­der (die aber eben­falls erheb­li­che Spar­an­stren­gun­gen unter­nah­men). Bezeich­nend für den eiser­nen Spar­wil­len war eine Mel­dung in ElPaís Anfang Okto­ber, wonach der öffent­li­che Sek­tor in eini­gen Mona­ten bereits einen grö­ße­ren Bei­trag zum Zuwachs zur Arbeits­lo­sig­keit lie­fer­te als der private.

Wie auch immer, mit die­sem hohen Defi­zit-Start­wert und der sich ver­schär­fen­den Rezes­si­on (statt dem Ende 2010 pro­gnos­ti­zier­ten Wachs­tum von 1,7 % wird nun mit minus 1 bis 2 % gerech­net) wur­de klar, dass 2012 weder das ursprüng­li­che Defi­zit­ziel von 5,3 % des BIP vom Juni 2010 noch das bis Jah­res­en­de 2011 auf­recht erhal­te­ne ambi­tio­nier­te Ziel von 4,4 % des BIP erreicht wer­den kön­nen. Dar­an wird auch der eben erst beschlos­se­ne radi­ka­le Abbau der Arbeits­markt­stan­dards (bei Umsatz­rück­gang dür­fen Arbeit­ge­be­rIn­nen Arbeits­ver­trä­ge ver­schlech­tern, leich­te­re Kün­di­gung auch lang­jäh­rig Beschäf­tig­ter, etc.), der gemäß OECD, EU-Kom­mis­si­on und spa­ni­scher Regie­rung Beschäf­ti­gung schaf­fen soll, nichts ändern.

Europäische Wirtschaftspolitik versagt

An die­ser Stel­le kommt der Fak­tor „Ver­sa­gen der euro­päi­schen Wirt­schafts­po­li­tik“ zu tra­gen. Am spa­ni­schen Bei­spiel offen­bar­te sich die Absur­di­tät der Eco­no­mic-Gover­nan­ce/­Six-Pack/­Fis­kal­pakt-Debat­te: Obwohl es eine Kon­junk­tur­klau­sel gibt, die eine Stre­ckung des Kon­so­li­die­rungs­pfa­des pro­blem­los erlau­ben wür­de, und obwohl selbst die ver­schärf­ten Spar­vor­ga­ben hin­sicht­lich des mit­tel­fris­ti­gen struk­tu­rel­len Defi­zits wie auch schon vor der Kri­se ein­ge­hal­ten wer­den, wird bei­des igno­riert und wei­ter­hin an der dümms­ten aller Vor­ga­ben – näm­lich dem von der Kon­junk­tur­ent­wick­lung maß­geb­lich bestimm­ten Maas­tricht-Defi­zit – fest­ge­hal­ten. Der Rat der Finanz­mi­nis­te­rIn­nen kam der spa­ni­schen Regie­rung nur inso­fern ent­ge­gen, als dass nun wie­der die alte Pro­gno­se für den Defi­zit­pfad mit 5,3 % des BIP 2012 (neben den unver­än­der­ten 3 % im Jahr 2013) als ver­pflich­ten­der Ziel­wert gilt. Detail am Ran­de: gemäß ElPaís übte sich eine klei­ne Grup­pe von Hard­li­ne­rIn­nen – dar­un­ter natür­lich auch die öster­rei­chi­sche Ver­tre­te­rin – in völ­li­ger Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung mit der For­de­rung Spa­ni­en müs­se am Defi­zit-Ziel von 4,4 % des BIP festhalten.

Mit die­sem Beschluss haben die euro­päi­schen Finanz­mi­nis­te­rIn­nen eines klar zum Aus­druck gebracht: Es ist ihnen ernst mit der in der Reform der Eco­no­mic Gover­nan­ce ange­leg­ten und mit dem Fis­kal­pakt voll­ende­ten Ver­un­mög­li­chung einer aus­ge­wo­ge­nen Wirt­schafts­po­li­tik. Immer­wäh­ren­de Aus­teri­täts­po­li­tik plus Wett­be­werbs­fä­hig­keit ste­hen über Wohl­stand, des­sen Ver­tei­lung, nied­ri­ge Arbeits­lo­sig­keit oder öko­lo­gi­sche Nach­hal­tig­keit. Die spa­ni­sche Regie­rung bemüht sich trotz­dem dies­be­züg­lich Mus­ter­schü­le­rin zu blei­ben: Statt Pro­gram­me gegen die gras­sie­ren­de Arbeits­lo­sig­keit, Armut oder für leist­ba­re Woh­nun­gen (seit 2008 wur­den bereits etwa 1 % der Haus­hal­te delo­giert; selbst Erwach­se­ne müs­sen viel­fach bei ihren Eltern woh­nen) wur­de ver­gan­ge­nen Frei­tag das bereits zwei­te Spar­pa­ket in nur 100 Tagen prä­sen­tiert. Die Kon­so­li­die­rung der Zen­tral­re­gie­rung soll 27,3 Mrd Euro (über 2,5 % des BIP) betra­gen. Hin­zu kommt eine Ver­ein­ba­rung mit Län­der und Gemein­den, wonach die­se ihr Defi­zit 2012 um 1,7 % des BIP sen­ken müs­sen (wobei ein unbe­stimm­ter Teil davon bereits in den 2,5 % aus dem Zen­tral­re­gie­rungs­pa­ket ent­hal­ten sein dürfte).

Scheitern vorprogrammiert

Die­ser Plan wird aller­dings nicht genü­gen um das Defi­zit tat­säch­lich aus­rei­chend zu sen­ken, da die nega­ti­ven Rück­kop­pe­lungs­ef­fek­te auf Wachs­tum und Beschäf­ti­gung nicht ein­ge­rech­net zu sein schei­nen. Die Kür­zun­gen in den Minis­te­ri­en von durch­schnitt­lich 17 % wer­den jedoch sehr deut­li­che Aus­wir­kun­gen haben – vor allem da bei Inves­ti­tio­nen oder akti­ver Arbeits­markt­po­li­tik über­pro­por­tio­nal gespart wird. Damit wird die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit wohl noch län­ger über 50 % blei­ben und die sozia­le Kri­se verschärfen.

Inter­es­sant ist die Reak­ti­on auf euro­päi­scher Ebe­ne: das deut­sche EZB-Direk­to­ri­ums­mit­glied for­der­te gemäß ElPaís, dass das Kon­so­li­die­rungs­pa­ket per Not­stands­ge­setz­ge­bung beschlos­sen wer­den soll­te um eine schnellst­mög­li­che Umset­zung sicher­zu­stel­len. Was das alles mit glaub­wür­di­ger Bud­get­po­li­tik oder einer Über­win­dung der Kri­se in der Euro­zo­ne zu tun hat, so wie auf euro­päi­scher Ebe­ne mehr­fach fan­ta­siert wur­de, bleibt ein offe­nes Rät­sel. Es wür­de im Gegen­teil nicht über­ra­schen, wenn damit die wirt­schaft­li­che Situa­ti­on in der Euro­zo­ne neu­er­lich belas­tet wür­de – mit all den nega­ti­ven Kon­se­quen­zen für alle Mit­glied­staa­ten. Trotz­dem ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass der Kurs in der Euro­zo­ne wie in Spa­ni­en selbst unver­än­dert bleibt und auch in den nächs­ten 100 Tagen Amts­zeit der neu­en spa­ni­schen Regie­rung ein wei­te­res Spar­pa­ket ver­ab­schie­det wird um die euro­päi­schen Vor­ga­ben ein­zu­hal­ten. Schließ­lich geht es ja um die Glaub­wür­dig­keit der euro­päi­schen Austeritätspolitik …

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